Jungfrau Zeitung - «Blick in die Tiefen der menschlichen Seele»

2022-05-21 12:25:52 By : Mr. Zemian Li

Die Farbe Blau reicht von den unendlichen Weiten des Himmels bis in die unergründlichen Tiefen des Meeres und spielt in Simpsons neue Werkserie Ice-Series (2019-2020) eine substanzielle Rolle. Es spiegelt ein Gefühl von Melancholie wider, des Erstarrens und der Resignation. «Dark times, to me, mean dark paintings», sagt die Künstlerin. Ihre monumentalen arktischen Landschaften und Porträts verschmelzen zu einem Seelenzustand, der von Blues eingenommen ist. Im Eindruck der blauen Farbe verdichten sich Geräusche und Sprache zu einem Seherlebnis. Simpsons Farbwelt ist eine kalte und wird einzig durch die in den Farbwelten verwobenen Personen wärmer. Was wir in den gletscherartigen Landschaften sehen, lässt uns Vermutungen zu den abgebildeten Personen anstellen: Welcher Kultur gehören sie an? Wo wohnen sie? Wie leben sie?

«Die Zeitungsausschnitte in den Bildern geben uns keine Antworten auf diese Fragen. Als störend empfinden wir das bedingt», schreiben die Verantwortlichen des Kunstmuseums Thun. «Wir sind es gewohnt, unsichtbare Informationen den sichtbaren hinzuzufügen. Simpsons Kunst forciert das Ergänzen der nicht sichtbaren Informationen. Zeigen ihre Collagen die Spitze des Eisbergs, lässt sie uns die unter der Wasseroberfläche verborgenen Informationen dazudichten.»

Rund 80 Prozent unserer Kommunikation beruhe auf jener unbewussten Beziehungsebene. Dazu gehörten Gefühle, Wertvorstellungen und eigene Identitäten. «Die restlichen 20 Prozent beruhen auf einer bewussten Sachebene.» Bei Lorna Simpson seien dies Farben, die wir sehen, Gesichter, die wir erkennen. «Die Künstlerin lädt uns also mit ihren Gletscherbildern ein, eigene Muster und Kategorisierungen zu überprüfen. Ihre Farbwahl umhüllt uns dabei regelrecht und entführt in eine Welt des Unbewussten. Es ist ein Blick in die Tiefen der menschlichen Seele.»

Lorna Simpson (*1960) wuchs in Brooklyn, NY, auf. 1983 absolvierte sie ihren Bachelor of Fine Arts in «Fotografie» an der School of Visual Arts, New York, NY und 1985 ihren Master im Studienfach «Visuelle Künste» an der University of California in San Diego, CA.

Lorna Simpsons Arbeiten wurden unter anderem im Museum of Modern Art (MoMA), New York, Museum of Contem-porary Art, Chicago, Walker Art Center, Minneapolis, Whitney Museum of American Art, New York, Los Angeles Muse-um of Contemporary Art, Los Angeles, und das Haus der Kunst, München. 2019 wurde Simpson mit der J. Paul Getty Medal ausgezeichnet. Die Künstlerin wird von der Galerie Hauser & Wirth vertreten.

Die Ausstellung findet in Kollaboration mit dem Serlachius Museum in Mänttä, Finnland, statt, wo die Werkschau Lorna Simpson 2023 gezeigt wird.

Während in Haze (2019) gläserne Eisblöcke von Plastiktüten umhüllt sind, liegen die gefrorenen Würfel in dem installativen Werk 12 Stacks (2018) auf gestapelten Ebony-Magazinen. Die amerikanische Zeitschrift, die seit 1945 monatlich erscheint und eine umfassende Sicht auf die afroamerikanische Kultur bietet, ist für Lorna Simpson eine bedeutende Inspirationsquelle und findet Eingang in zahlreiche ihrer Arbeiten. Die Künstlerin reiht sich damit in eine Gruppe von Kunstschaffenden ein, die sich aktuell auf intime Weise mit den Kategorien Erinnerung, Ethnie, Geschichte, Gender und Fiktion auseinandersetzen. Die Ausstellung «Haze» zeigt einen umfassenden Querschnitt ihres 40-jährigen Schaffens.

Das Thema Zeit spielt in den Werken der Künstlerin eine ebenso grosse Rolle. In der Videoarbeit Cloudscape (2004) ist ein Mann (bei dem es sich im Übrigen um den Künstler und Musiker Terry Adkins handelt) zu sehen, der ein Kirchenlied pfeift. Im Verlauf des Videos stören aufkommender Nebel und Scheinwerferlicht die Szenerie, die dann rückwärts läuft und sich fortan in Endlosschleife wiederholt. Schaut man sich den Film eine Weile an, ändert sich die subjektive Wahrnehmung von Zeit. «Auch hier gibt Simpson uns das Angebot, uns zu überprüfen – auf die Verlässlichkeit unserer Sinne und auf alles Verborgene, was nicht direkt sichtbar erscheint.»

Kunstmuseum Thun, 21. Mai bis 14. August

Vernissage: 20. Mai um 18.30 Uhr mit Musik

Dienstag bis Sonntag von 10.00 bis 17.00 Uhr

Kinder und Jugendliche bis 16 Jahre gratis, für Gruppen ist vorab eine Anmeldung erforderlich.