Das erste Weihnachtsfest nach dem Zweiten Weltkrieg

2021-12-27 03:58:38 By : Ms. Liango Liang

Seit 52 Jahren lebt Dietlind Castor schon am Bodensee. Gütersloh, die Stadt, in der ihre Großeltern wohnten, hat sie nie vergessen.

Gütersloh (gl) - Die Erinnerung an zahlreiche Ferien bei den Großeltern begleiten die Reiseautorin bis heute. „Ich habe nach dem Abitur sogar mal im Stadtpark gearbeitet“, erzählt sie. Und die Ausflüge mit den Großeltern zu den Bauernhöfen der Verwandten seien auch immer ein schönes Erlebnis gewesen. Und dann erzählt sie, warum sie gerade jetzt wieder an Gütersloh denkt.

Ein Foto im Album weckt die Erinnerung an das erste Weihnachtsfest nach dem Zweiten Weltkrieg. Sorgfältig aufgebaut sitzt da die Familie mit Großeltern, Eltern, Onkeln und Kindern. So ein Foto bedurfte einiger Vorbereitungen: Die Kamera kam auf ein Stativ. Das notwendige helle Licht entstand durch einen mit Blitzlichtpulver gefüllten Papierbeutel in Form heutiger Teebeutel, an denen unten ein langer präparierter Papierstreifen als Lunte angebracht war. Sobald das Blitzlicht angezündet war, musste der Fotograf schleunigst auf seinen Platz. Jede Bewegung sollte vermieden werden.

Autorin Dietlind Castor erinnert sich noch heute an die Ferien und die Weihnachtsfeste bei den Großeltern in Gütersloh. Sie lebt bereits seit 52 Jahren am Bodensee.Für mich wurde es damals in Gütersloh bei den Großeltern eines der schönsten Weihnachtfeste. Ich hatte mir sehnlichst eine Porzellanpuppe gewünscht, mit echtem Haar und Schlafaugen, die auch Mama sagen konnte. Alle Freundinnen hatten solche Puppen. Meine jüngere Schwester und ich besaßen nur Stoffpuppen, die wir in einem alten Puppenwagen spazieren fuhren. Wir verbrachten die Kriegsjahre meistens bei den Großeltern in Gütersloh, denn unsere saarländische Heimatstadt Merzig lag zu dicht bei Frankreich.

Viele Saarländer waren daher weiter im Landesinnern Deutschlands bei fremden Leuten untergebracht. Wir konnten zu den Großeltern nach Gütersloh. Unser Vater hatte vor dem Krieg bei seiner militärischen Ausbildung in Gütersloh unsere Mutter kennen und lieben gelernt.

Wie das „Christkind“ meinen Herzenswunsch nach der Puppe erfüllen konnte, erfuhr ich erst später. Es gab solche Puppen nicht mehr zu kaufen. Unsere Mutter hatte zum Glück ein paar nagelneue Schuhe erworben, die niemandem in der Familie passten. Also ging sie in einen Tauschladen und traf dort auf eine junge Frau, die ihre geliebt Puppe unter Tränen gegen diese Schuhe eintauschte. So konnte sie mir meinen größten Wunsch erfüllen. Ich nannte die Puppe Christl. Ich sitze stolz mit meiner neuen Puppe bei meiner geliebten „Omma“.

Hinter den Großeltern und unserer Mutter, die meine Schwester Waltraud auf dem Schoß hält, stehen die Männer, die zum Glück heil aus Krieg und Gefangenschaft zurückgekehrt sind. Der Mittlere ist unser Vater, der zuletzt in Griechenland stationiert war. Er hatte viele sehnsuchtsvolle Briefe nach Hause geschrieben, denn er war bei den Nachrichten und hatte Zeit.

Hin und wieder konnte er telefonieren. Dann schwärmte er von Land und Leuten und von der Akropolis.  Er hatte auf dem Gymnasium auch Altgriechisch gelernt. Mir wurde erzählt, dass ich schon bald Akropolis sagen konnte.

Der Fotograf links von ihm ist einer der Brüder unserer Mutter, der ebenfalls heil aus Russland und Frankreich zurück kam. Er wurde später Stadtrechtsrat von Gütersloh. Der junge Mann ganz rechts ist Onkel Hugo, der noch als blutjunger Flakhelfer an die Ostfront musste und sich dann auf Geheiß eines Offiziers rechtzeitig wieder auf den Heimweg nach Gütersloh durchgeschlagen hatte.

Später einmal zeigte er mir einen Bauernhof bei Rheda, wo er zum Schluss noch um ein Glas Wasser gebeten hatte. Viele Menschen hatten ihm unterwegs immer wieder etwas zu essen oder einen Schlafplatz angeboten. Er begann eine Schreinerlehre und hatte als Weihnachtsgeschenk für seine Nichten ein wunderschönes hölzernes Puppenhaus mit vielen Zimmern, Treppen und Türen gebaut. Es war trotz aller Not und Einschränkung damals ein unvergesslich schönes Weihnachtsfest