Simon Libsig über ein fast perfektes Wochenende

2022-06-03 20:00:16 By : Ms. Pufei Jade

Simon Libsig über ein fast perfektes Wochenende in den Bergen: Der ganze Zorn des Dorfältesten traf ihn, seine Familie und Freunde. Pfui!

Drei befreundete Nachbarsfamilien, sechs Erwachsene und sechs Kinder, verbringen ein langes Wochenende in einem Ferienhaus im Graubünden. Da kommen schon ein paar Geschichten zusammen. Denn: «Nobody is perfect.» Zum Glück!

Das Motto dieses Spiels um Wahrheit oder Unsinn, das wir Erwachsenen jeweils berauscht spielten, wenn die Kinder im Bett waren, also kurz vor Mitternacht, zog sich wie ein roter Faden durch dieses Wochenende. Angefangen damit, dass ich noch arbeiten musste, und erst einen Tag später dazustossen konnte.

Dafür packte ich dann das Auto voll mit Dingen, die vergessen worden waren. Eine Zahnbürste zum Beispiel. Und Hausschuhe. Und Fleisch. Ja, acht Stück Schweinebäckchen und zwei grosse Rindsfilets. Dafür musste ich mit dem Schlüssel aus dem Geheimversteck durch die Garage ins Nachbarshaus, in den Weinkeller, zum Gefrierschrank.

Und der war voll mit Fleisch. Au Backe! Wie sehen Schweinebäckchen überhaupt aus? Auf der Suche nach ihnen, räumte ich das halbe Kühlfach leer, stapelte gefrorene Plastikbeutel voll Tier auf den Tisch hinter mir, bis mir klar wurde, dass ich zu gross dachte, bzw. zu versaut. Nicht Pobacken! Pausbacken!

Als ich im Bergdörfli ankam, hatten die anderen bereits einiges erlebt. Scherbe im Fuss. Geburtstagsparty. Sonnenbrand. Streit, wer neben wem sitzen darf. Im Auto, am Tisch, auf der Schaukel. Undundund. Plus: Eine Wanderung.

Ich traf sie beim grossen Dorfbrunnen. Sie sassen auf dem Rand, und kühlten ihre Füsse und Waden. Einzelne tauchten sogar ganz ab, und dann mit Frostbeulen wieder auf. Gletscherwasser war süttig heiss dagegen. Trotzdem wären wir wohl noch ein wenig verweilt, hätte uns nicht plötzlich der ganze Zorn des vermutlich Dorfältesten getroffen.

Im Schatten einer Scheune sitzend, und wild mit einer Krücke umher fuchtelnd, verfluchte er uns und unsere fehlenden Manieren, das sei hier keine Badi, und ob wir Zuhause denn keine Dusche hätten. Pfui! Zum Glück sagte man uns etwas später im Dorflädeli, dass sich auch die Einheimischen in diesem Brunnen abkühlen würden. Der Krückenmann wettere grundsätzlich gegen jeden. Nobody is perfect.

Das Haus war, sagen wir mal, interessant eingerichtet. Für Nippessammler. Oder Kuriositätenhändlerinnen. Aber auch für die Kids. Mal tauchten sie mit einem zum Türstopper umfunktionierten Hufeisen auf. Dann wieder mit einem Hirschgeweih oder einem geflochtenen Korb-Schlitten speziell für Teddybären. Wenigstens gab es ab dem zweiten Tag warmes Wasser. Der Besitzer hatte es abgestellt. Er wasche sich immer kalt. Ich vermute mal, im Dorfbrunnen.

Beim Ausflug zur Brätelstelle hatten wir dann zweimal Glück. Die herantrabenden Kühe einer hungrigen Herde hatten minim mehr Angst vor uns als wir vor ihnen. Sie wichen eine Hornlänge vor der Kindern doch noch aus. Wie ich von meinem Baum aus beobachten konnte.

Und bei der Feuerstelle war gerade ein Holzfäller zugange, für Anzündholz war gesorgt. Dass wir den ganzen Holzberg schliesslich eigenhändig und während zweier Stunden zu einer beachtlichen Scheiterbeige aufstapelten, hatte er subtil («Ich wäre ja eigentlich schon pensioniert. Und vor zwei Wochen ist mir noch eine Sehne im Arm gerissen») eingefädelt.

Dann kam die Rückreise. Wir früh vorneweg. Und gerade als wir das Passsträsslein (oder wie wir es nennen, «d Chötzli-Kurve») hinter uns hatten, der Anruf, die anderen kämen nicht vom Fleck. Beim einen Auto sei die Batterie leer. Und beim anderen sei die Batterie im Motorraum unauffindbar. Man könne das Überbrückungskabel nirgends anschliessen. Ob wir nochmals hochfahren könnten. «Selbstverständlich», sagte ich, und schaffte es gerade noch rechtzeitig, die Tür aufzustossen.

Ich schaffte es dann sogar noch bis zu Kurve Nummer neun, ehe das Telefon abermals klingelte. Entwarnung, sie hätten die Batterie nun doch gefunden. Im Youtube-Filmchen hätte es geheissen, sie befinde sich, bei diesem BMW, unter einer Abdeckung im Kofferraum. Worauf sie alles Gepäck aus-geladen und nachgeschaut hätten.

Das war voreilig, bzw. schauten sie das Filmchen dann noch einmal, und dieses Mal bis zum Schluss. Und erfuhren, dass vom Kofferraum jedoch ein Kabel in den Motorraum führe...mehr verstand ich nicht, mir stand bereits wieder kalter Schweiss auf der Stirn.

Am späteren Nachmittag dann wieder alle glücklich Zuhause. Und zum Znacht gab es überraschend Fleisch, Fleisch und nochmals Fleisch. Weil ich vergessen hatte, die gefrorenen Plastikbeutel vom Tisch hinter mir, wieder zurück ins Kühlfach zu legen. Nobody is...

Poet Simon Libsig (45): Seine Kolumne erscheint einmal pro Monat im «Badener Tagblatt». Im September kommt sein neues Buch heraus, das zwei Kriminalgeschichten vereint.