Ein Teller Nudeln mit Tintenfisch mit US-Anwalt Jürgen Ostertag, einem Schwaben in New York, der von den Klägerindustrien in USA erzählt und warum in den Citys immer mehr Spielplätze verschwinden | Management-Blog

2021-12-29 07:44:45 By : Mr. Quanshui Xu

Ob ich einen Caffè Americano wolle, fragt mich der Kellner bei „Casa Luigi“ zurück, als ich „eine Tasse Kaffee“ bestelle. Und er verblüfft mich gleich nochmal, als er mir erklärt, dass es ja auch Espresso Ristretto gebe … Cafe´Americain kenne ich sonst aus Frankreich, oder einen Grand Cafe´- und der ist dann immer noch maximal so groß wie hierzulande eine normale Tasse. Hin wie her, bestellt man eine Tasse Kaffee, ist man eine Ausnahme und wird irgendwie angezweifelt. Die Kellner können es manchmal kaum glauben.

Hier in der Düsseldorfer Altstadt – möglichst nah zum Bahnhof – lerne ich Jürgen Ostertag kennen, kurz bevor er zurück fliegt nach New York, in seine Wahlheimat. Bestellt hat er sich Nudeln mit Tintenfisch. Die schmecken ihm auch, der Teller wird ratzeputz leer gegessen.

Jürgen Ostertag (Foto: C.Tödtmann)

Im Big Apple berät Ostertag deutsche Mittelständler, die Hidden Champions, die ihr US-Geschäft aus- oder aufbauen wollen in Gesellschafts- und Vertriebsrecht. Mal gründet er für sie neue Gesellschaften, mal verfasst er die Arbeitsverträge für ihre neuen Mitarbeiter. Die Familienunternehmer – darunter durchaus bekannte Namen, die er hier nicht lesen will – seien pragmatisch, sie wollen Ergebnisse im Verhältnis zu ihrer Investition, beschreibt er die Mandanten aus seinem Heimatland.

Family-Homeoffice in der Vorstadt und mit Lieferdiensten

Wie er die Pandemiezeit in den USA erlebt? 16 Monate lang war er wegen Corona nicht mehr in seiner Kanzlei, sondern blieb in seinem Haus außerhalb von New York City. Seine Töchter kamen aus ihren Studentenwohnheimen zurück nach Hause, studierten online weiter, er selbst arbeitete von zuhause aus weiter – problemlos, sagt er. Essen ließen sie sich einfach liefern. Das Homeoffice wurde zur Generationensache. Ostertag erzählt von einer Umfrage, die zeigte, dass die Einpendler nach New York City mit einem Haus in einem der Vororte, viel Fahrzeit sparten und das Homeoffice schätzen lernten.

Im Gegensatz zu denjenigen, die in der City wohnen, in Wohnungen ohne Garten und Terrasse und das womöglich mit Kindern. Die wollen zurück ins Büro, erzählt der gebürtige Schwabe. So ähnlich wie in Deutschland. Pendler vermissen das Büro so gar nicht und haben nichts dagegen, die eingesparte Zeit auf der Autobahn oder im Zug als – nicht aufgeschriebene – Überstunden zu verbuchen. Wer dagegen beengt in der City mit vier Personen samt Homeoffice und nur mit Arbeitsplatz auf einer Küchentischecke klar kommen muss, aus dessen Wohnung hören die Nachbarn von den Geplagten öfter Gebrüll.

Doch zurück zu Jürgen Ostertag und über den großen Teich: Gegen die Maskenpflicht gab es einen Aufschrei und ausgerechnet die Vermieter von Bürogebäuden auf Corona-Gesetze drangen darauf. Warum gerade sie? Weil sie sich fürchten vor Klagen von Infizierten. Wollten die Büroarbeiter an ihren Arbeitsplatz kehren, gab es lange Schlangen, sie stauten sich an den Eingängen, mussten da vor dem Betreten der Firma Fragebögen ausfüllen und wurden nur an festgelegten Tagen hineingelassen.

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Covid als Hochkonjunktur für Kanzleien in New York

Anfangs hatten seine Kollegen bei Tarter Krinsky & Drogin und er noch Angst vor einem Geschäftseinbruch, doch tatsächlich wurde daraus eine Hochkonjunktur für die Kanzleien vor Ort. Die Anwälte hatten viel zu tun: mal wollten ihre Klienten Leute entlassen, Mietverträge überprüfen, Überbrückungsdarlehen beantragen und so weiter. Selbst das Transaktionsgeschäft  nahm zu. In den USA wurde zum ersten Mal ein Kurzarbeitergeld eingeführt, erzählt Ostertag. Für die Unternehmen ein Geschenk, das sie nicht mal zurückzahlen mussten, wenn ihre Gewinne stiegen.

Das persönliche Geschäftsmodell eines New Yorker Anwalts mit einer Lady mit einer Behinderung

Der gebürtige Schwabe erklärt, dass es in USA viel leichter sei, etwas vors Gericht zu bringen: Man braucht nur einen Verstoß behaupten und sagen, dass man dadurch geschädigt wurde. Die Kausalität wird dann erst vor Gericht geprüft, und Gerichtskosten, für die ein Kläger in Vorlage treten müsste, gebe es in den USA auch nicht. Da gäbe es beispielsweise einen Anwalt in New York, der lässt eine Frau mit Behinderung in Soho unentwegt nach Eingängen von Unternehmen, Restaurants oder Arztpraxen suchen, die sie nicht überwinden kann. Manche von denen sitzen in denkmalgeschützten Gebäuden und können auch gar nichts daran ändern. Dieser Anwalt aber habe daraus sein persönliches Geschäftsmodell entwickelt: Er droht den Betroffenen stets mit einer Klage – und die zahlen ihr dann lieber irgendeine Summe an seine Mandantin, damit sie von ihnen ablässt und sie nicht vors Gericht zerrt. Der Anwalt behält davon sein Erfolgshonorar ein.

Solchen Attacken erleben auch Webseiteninhaber – jeder muss damit rechnen, erzählt Ostertag. So wie der deutsche Online-Verkäufer von Uhren, den er mal beriet. Webseiten wie seine müssen nämlich nicht nur sehbehindertengerecht sein, sondern auch für Hörgeschädigte passen. Wenn Konsumenten Musik abspielen oder ihnen Texte vorgelesen werden. Wer das als Webseitenbetreiber nicht gewährleistet, verweigere Behinderten die „Teilnahme am öffentlichen Leben“ und bekommt eine Abmahnung. Wer´s dann immer noch nicht ändert, wird verklagt. Da gebe es ganze Klägerindustrien, erzählt der Jurist.

Die gefürchteten amerikanische Verhältnisse – manchmal zu Unrecht

Und dann droht US-Unternehmen obendrein der gefürchtet Strafschadenersatz, die amerikanischen Verhältnisse, vor denen hierzulande so viele bei jeder Gelegenheit warnen. In Talk-shows beispielsweise nicken die drum herum sitzenden Gäste dann immer – ohne nachzufragen. Allein der Begriff reicht, um alle zu erschrecken.

Zu recht? Vielleicht nicht. Denn manchmal sind auch diese Punitive Damages – Entschädigungen mit Strafcharakter – durchaus berechtigt, erzählt Jürgen Ostertag. Und zwar auch als warnendes Beispiel, um andere Täter gleich abzuschrecken. Ein Beispiel gefällig? Der legendäre Schadensfall der McDonalds-Kundin aus New Mexiko, die sich 1992 vor fast 30 Jahren am heißen Kaffee verbrühte und am Ende dafür 640.000 US-Dollar Strafschadenersatz und Schmerzensgeld vom Gericht zugesprochen bekam beispielsweise.

Warum so manche amerikanischen Citys ihre Kinderspielplätze schließen

Doch man muss wissen, sagt Ostertag, dass McDonalds eine Dienstanweisung erteilt hatte, wonach zur Rush hour immer eine dreistellige Zahl von sehr heißen Bechern vorbereitet da stehen sollte. Gleichzeitig produzierte das Franchise-Unternehmen immer dünnwandigere Pappbecher, um Herstellungskosten zu sparen. Zumal solche Fälle, bei denen sich die Kunden böse vebrühten, mehrmals passierten – doch McDonalds sei untätig geblieben. Die Frau aus New Mexiko hatte sich so stark vebrüht, dass sie fortan nicht mehr arbeiten konnte – das, wo es in den USA keine gesetzliche Krankenversicherung gibt. Im  Klartext: Die amerikanischen Verhältnisse haben oft eine Vorgeschichte – und die wird selten miterzählt. McDonalds jedenfalls hat danach Pappmanschetten eingeführt.

Diese Urteile haben tatsächlich manchmal Wirkungen weit über den Fall hinaus, die die Geschworenen in den US-Gerichten nicht vorhersehen, erzählt Ostertag. Sie schauen nur auf den einen Fall, den sie beurteilen müssen. Dass so viele amerikanische Citys inzwischen keine Kinderspielplätze mehr haben, sei so eine Folge. Immer mehr Spielplätze wurden daraufhin einfach geschlossen, ersatzlos gestrichen. Weil die Schadenersatzsummen – oder auch entsprechende Versicherungsprämien – für die Eltern, deren Kindern einen Unfall auf dem Spielplatz hatten, für die Gemeinden unbezahlbar wurden.

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